Was es für mich bedeutet, als Sanitäterin zu arbeiten.
Gugu D. aus Eshowe, die wir bei ihrer Ausbildung unterstützten, erzählt aus ihren Erfahrungen:
Unser Motto lautet „Der Patient kommt immer zuerst“.
Ich war Zeuge des Wunders einer Geburt, und ich habe ein Baby in meinen Armen gehalten, als es seinen letzten Atemzug tat. Ich habe mit meinen Patienten gelacht, und ich habe mit meinen Patienten geweint. Patienten haben sich auf mir übergeben.
Ärzte haben mich bereits des Öfteren angeschrien, weil wir zu viel Zeit bis zum Krankenhaus gebraucht haben. Sie konnten nicht wissen, dass wir den Patienten erst vom dritten Stock ohne Aufzug nach unten transportieren mussten. Ich lasse Mahlzeiten aus, wenn der Job meine ganze Aufmerksamkeit fordert. Wenn ich doch etwas esse, komme ich meist nicht dazu, zu Ende zu essen.
Ich habe eine ältere Dame nach Tagen mit einer gebrochenen Hüfte in ihrer Wohnung liegend gefunden, weil es niemanden gab, der einmal nach ihr geschaut oder sich nach ihr erkundigt hätte.
Ich führe Herz-Lungen-Wiederbelebung aus.
Ich richte gebrochene Knochen, verbinde Schnittverletzungen, mache mir um meine Patienten Sorgen.
Ich arbeite in unglaublicher Sommerhitze und bei kalten Wintertemperaturen. Ich habe versucht eine Person, die in einem Fenster stand, zu überzeugen, nicht zu springen. Ich hebe und trage regelmäßig Patienten, die mehr wiegen als ich. Ich habe mich von meinen Patienten mit Grippe angesteckt.
Ich habe Stichwunden versorgt, und ich habe gesehen, was eine Gewehrkugel dem menschlichen Körper antun kann. Ich musste manchen Eltern und Verwandten beibringen, dass eine geliebte Person gestorben ist, obwohl wir unser Möglichstes getan hatten.
Patienten haben mir oft Danke gesagt, ich wurde aber auch schon beschimpft, wenn ich zu spät an einem Einsatzort angekommen bin.
Ich habe mich versehentlich mit einer Nadel selbst gestochen. Ich habe Blutdruck gemessen, und Menschen wiederbelebt, die das Krankenhaus wieder verlassen konnten. Ich habe gesehen, was ein einziger Bienenstich bei einem Allergiker verursachen kann.
Ich sitze oft für Stunden im Krankenwagen, wenn ich auf Standby bin und auf einen Anruf warte.
Ich liebe meinen Job und viele Momente davon, aber ich habe mittlerweile auch das Schlimmste gesehen, was ein Mensch einem Anderen antun kann.
Ein so langer Weg
Sie kam um zu putzen. Sie wischte Flure, Klassenräume, das Treppenhaus, die Teeküche und die Schulhalle. Sie reinigte Waschbecken und Toiletten, fegte den Vorplatz, leerte Mülleimer und machte die Gästezimmer fertig. Tag für Tag. Gugu, 20 Jahre alt. Sie hatte Matric gemacht und wollte Geld verdienen, um die Ausbildung zur Krankenschwester finanzieren zu können. Bildung ist nicht umsonst in Südafrika. Ihre Eltern konnten ihr dabei nicht helfen. Der Vater arbeitete im weit entfernten Johannesburg und schickte etwas Geld nach Hause. Ansonsten lebte die Familie von dem, was aus Mutters Garten geerntet wurde und was der Verkauf von Hühnern immer wieder einmal einbrachte.
Aber dann verschoben sich plötzlich die Prioritäten. Ein kleines Kind brachte diesen Plan durch-einander, wie das im Leben so vorkommt. Gugu wurde Mutter einer süßen kleinen Tochter. Und wie es in Zulufamilien üblich ist, versorgte Oma das Enkelkind und Gugu setzte ihre Arbeit fort, wischte und fegte wieder. Nun für ihr Kind. Irgendwann auch wieder zusätzlich für ihr berufliches Ziel.
Nach mehreren Jahren begann sie, sich an Krankenpflegeschulen zu bewerben. Immer wieder – und immer erfolglos. Entweder erhielt sie Absagen oder gar keine Antwort. Es schien, als ginge ohne Vitamin C, „Connection“, gar nichts. Am besten wären wahrscheinlich besondere finanzielle Zuwendungen an die verantworliche Angestellte im Office gewesen – ein sehr häufiger Weg in Afrika, und nicht nur auf diesem Kontinent.
Irgendwann erfuhr Gugu von einer Ausbildung zur Sanitäterin. „Woza nawe kuma ambulansi“, damit warb eine Akademie für diesen Beruf. „Komm auch du zum Rettungsdienst!“ Ein medizinischer Crashkurs stand am Anfang. Danach der Führerschein. Gugu nahm unbezahlten Urlaub, um den Kurs zu machen. „Ich habe gelernt, wie noch nie in meinem Leben“, sagte sie. „Tag und Nacht habe ich gelernt“. Was mache ich bei Brüchen, Ohnmacht, Stichverletzungen,…
70 Prozent der Teilnehmer fielen bei der Prüfung durch. Gugu gehörte zu den 30 % Glücklichen, die diese anspruchsvolle Prüfung bestanden. Die noch fehlende Führerscheinprüfung schien jetzt nur noch ein letzter kleiner Schritt zum Ziel zu sein. Da hatte sie sich jedoch sehr getäuscht. Die Prüfer ließen sie mehrmals bei der Fahrprüfung durchfallen. Sie war fassungslos, denn noch nie in ihrem Leben hatte sie eine Prüfung nicht bestanden. Neben dem Fahrfehler hatte sie einen zweiten Fehler gemacht: Sie hatte sich nach der ersten Prüfung gleich wieder zur neuen angemeldet. Das heißt für die Prüfer: Sie hat Geld! Dieses Signal nutzten sie offensichtlich aus und baten sie noch öfter zur Kasse. Angeblich kein Einzelfall, wie ein junger Mann erzählte. Ihm sei bei der Anmeldung zur Fahrprüfung das Angebot gemacht worden, den doppelten Preis zu bezahlen, dann würden sie ihm auch versichern, dass er die Prüfung bestehen würde. Er willigte nicht ein, denn er hatte das Geld nicht. Den Führerschein hat er allerdings auch nicht – bis heute.
Als Gugu diese Hürde endlich geschafft hatte, hoffte sie, bald eine Anstellung zu finden. Weit gefehlt, denn es wurden in diesen Crashkursen viel mehr junge Menschen ausgebildet, als tatsächlich benötigt wurden. Doch es gab eine Hoffnung! Man konnte sich auf eine Warteliste setzen lassen und ehrenamtlich Praxiserfahrung sammeln. Das gab Bonuspunkte bei der Bewerbung. Weil Gugu ja tagsüber ihren Lebensunterhalt verdienen musste, blieben ihr nur Nachtschichten als Übungsfeld. Zwei Jahre lang ging sie neben ihrer Arbeit von Montag bis Sonntag zur Nachtschicht. Es gab ruhige Nächte, es gab aber auch Einsätze bei schweren Verkehrsunfällen, die sie bis in den Morgen forderten, wenn sie eigentlich schon bei ihrer Hausarbeit hätte sein sollen. Ihre Mitarbeiterinnen übernahmen unauffällig ihren Dienst, bis sie wieder zurück war und ihre dunkelblaue Dienstkleidung und die schweren Schnürschuhe gegen Kittelschürze und Flipflops eingetauscht hatte. Einige in ihrem Umkreis hatten den Verdacht, dass sie nun auch HIV-positiv sei. „Sie ist oft so müde und geht so langsam.“
Immer wieder wurden die Absolventen dieser Kurse zu zusätzlichen Schulungen mit sportlichen Wettkämpfen aufgefordert, obwohl mit dem Zertifikat und dem Führerschein die Bedingungen für eine Anstellung eigentlich erfüllt waren. Einmal waren zu einer Veranstaltung Hunderte Teilnehmer angereist, was die Veranstalter völlig überforderte. Glühende Hitze. Der 10 km-Lauf fand trotzdem statt und endete in einer Katastrophe. Läufer kollabierten, die Krankenhäuser konnten nicht mehr alle Notfälle aufnehmen, einige Teilnehmer starben.
Endlich – vier Jahre nach der Prüfung wurde Gugu zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen und konnte dabei überzeugen. Nun war sie am richtigen Ort angekommen. Davon war sie auch Jahre später noch überzeugt.
Edeltraud Parensen
yebo Zululand Initiativen e.V.